Trendthema KI

Medienbildung mit Articlett.Schule neu denken

Künstliche Intelligenz ist ein Geschenk für Desinformation und Fake News. Das Bildungs-Startup Articlett möchte dagegenhalten und hat speziell für Lehrkräfte ein eigenes Angebot geschaffen. Gründer Jonas Lerch erzählt von der Entwicklung.


Der Start meines Gründerdaseins begann Ende 2019 mit einer kurzen Textnachricht: „Ich habe heute eine deiner Geschäftsideen geklaut.“ Meine beiden späteren Mitgründer:innen hatten mein Konzept für ein journalistisches Angebot spontan bei einem Wettbewerb gepitcht und waren damit auf offene Ohren gestoßen.

Zu dritt bauten wir dann die journalistische App Articlett auf, mit dem Ziel Zeitungen und junge Menschen als (zahlende) Zielgruppe zusammenzubringen, um Zeitungen als verlässliche und starke Informationsquelle zu stärken und Desinformation entgegenzuwirken.

Finanziert wurde das Projekt in dieser Zeit durch ein EXIST-Gründerstipendium, das für alle Gründungsprojekte im universitären Umfeld sehr interessant ist und das Gründungsteam ein komplettes Jahr lang absichern kann. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Die Antragstellung ist mit einigem formalen und inhaltlichen Aufwand verbunden.

Kurz nach Erhalt des EXIST-Stipendiums – welches immer die Gründer:innen fördert, keine Firmen – haben wir die Articlett UG gegründet. Eine UG (also die „kleine GmbH“) lässt sich schnell in eine vollwertige GmbH umwandeln, der finanzielle Einsatz ist durch das niedrigere Stammkapital geringer als bei einer GmbH und als Kapitalgesellschaft ist eine einfache Einbindung von Investor:innen möglich. Bis heute ist dies unsere Unternehmensform, auch wenn wir derzeit die Umwandlung in eine GmbH planen.

Leider sind viele Zeitungen eher zurückhaltend, wenn es darum geht, Neues auszuprobieren, und es ist schwierig, junge Leute als zahlende Nutzer:innen zu gewinnen – ein Problem, das wir letztlich nicht lösen konnten.

Weiterentwicklung zu Articlett.Schule

Für uns stellte sich die Frage: Wie können wir unsere Kompetenzen noch besser nutzen, um unsere eigentlichen Ziele wie zum Beispiel den Erhalt der Demokratie und die Etablierung einer zukunftsorientierten Diskurskultur zu erreichen? Aufbauend auf unserer Journalismus-App haben wir daher 2021 das Konzept für Articlett.Schule entwickelt.

Was uns damals beschäftigt hat, war die Entwicklung von generativer KI. Es gab zwar noch kein ChatGPT, aber die möglichen Auswirkungen von generativen KI-Systemen auf die Gesellschaft und ihre digitalen Diskursräume haben uns sehr beschäftigt. Auch die Pandemie hat gezeigt: Wer einmal aus faktenbasierten Diskursen ausgestiegen ist, kehrt so schnell nicht wieder zurück und schadet sich und seinem Umfeld mitunter erheblich.

Wenn sich schon jetzt viele Menschen vom größten Unfug überzeugen lassen, wie wird es erst sein, wenn wirklich hochwertige, plausible Fehlinformationen massenhaft im Netz kursieren und selbst Medienprofis nicht mehr sagen können, ob ein Bild oder Video echt ist?

Das Konzept

Unter dem Projektnamen Articlett.Schule haben wir uns deshalb Schritt für Schritt zu einem Bildungsanbieter für nachhaltige Medienkompetenz entwickelt. Wir sind überzeugt: Medienkompetenz muss weiter gefasst werden und viele weitere Kompetenzen wie Logik, Digital- und Datenkompetenz oder wissenschaftliches Arbeiten umfassen.

Wer mitreden will, wie die Welt um uns herum funktioniert, muss auch in Ansätzen verstehen, wie sie funktioniert. Das lässt sich am besten dort vermitteln, wo Menschen noch schnell lernen und noch nicht in faktenfernen Weltbildern gefangen sind – also in der Schule.

Nun gibt es schon viel Material zur Medienkompetenz, viel Gutes ist darunter. Aber wir finden: Vieles davon ist zu textlastig, wenig aktuell und einfach zu weit weg von der schnellen digitalen Lebenswelt der Schüler:innen. Wir wollen Medienkompetenz erlebbar machen, ohne an inhaltlicher Tiefe zu verlieren.

KI ist faszinierend, aber keine Magie. Wir wollen in die Blackbox schauen und auch komplexe Zusammenhänge verständlich machen. Dafür entwickeln wir komplette Unterrichtseinheiten, die ein Thema (zum Beispiel „Wie funktioniert eigentlich ChatGPT?“) in zwei Schulstunden vermitteln und die Lehrkräfte dabei Schritt für Schritt begleiten.

Die App von Articlett.Schule hilft Lehrkräften Unterricht zu komplexen Themen vorzubereiten.

Dabei sind uns zwei Punkte wichtig:

  1. Lehrkräfte sind überlastet. Wir machen es Ihnen so einfach wie möglich.
  2. Lernen durch Ausprobieren: Schüler:innen sollen Medienkompetenz und die Gefahren und Potentiale von KI selbst erfahren und dadurch lernen.

Wir bereiten unsere Unterrichtseinheiten komplett vor: Stundenplan, Präsentation, Sprechzettel, digitale KI-Zugänge, Hintergrundinformationen und Checklisten. Jede Unterrichtseinheit hat eine digitale, erlebnisorientierte Komponente. Das kann ein Lernspiel sein oder anonyme Zugänge zu ChatGPT.

Alle Software-Komponenten entwickeln wir dabei selbst. Wir möchten mit unseren Inhalten möglichst viele Lehrkräfte erreichen, deshalb veröffentlichen wir unsere Materialien kostenlos als OER (Open Educational Resources).

Finanzierung

Nun gibt es ein Problem: Solche Unterrichtsmaterialien mit eigener Lernsoftware zu produzieren, ist richtig teuer. Deshalb haben wir uns für das „Förderprogramm zur Strukturförderung Journalismus“ der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien beworben. Als journalistisches Start-up, das neue Konzepte für Medienkompetenz entwickelt, passten wir gut rein und wurden schließlich gefördert.

Zwischen der Zusage und dem Förderbescheid lag allerdings ein mit ernüchternder Regelmäßigkeit immer länger werdender Zeitraum, der uns sowohl finanziell als auch planerisch vor einige Herausforderungen stellte. Die Förderung ermöglichte es uns schließlich, das Projekt mit umfangreichen Ressourcen anzugehen. Wir haben ein Team mit unterschiedlichen Kompetenzen zusammengestellt: Entwickler:innen, Lehrkräfte, ein Physiker, eine Psychologin, ein Medienwissenschaftler und eine Designerin.

Vor Kurzem ist unsere Finanzierung ausgelaufen und wir müssen uns selbst finanzieren. Mit einem kostenlosen Angebot, das es noch nicht lange gibt und das hohe Kosten für die Weiterentwicklung verursacht, ist das gar nicht so einfach. Klar ist: Unsere Bildungsmaterialien bleiben kostenlos.

Wir haben weitere Einnahmequellen rund um unsere Bildungsmaterialien erschlossen. Am wichtigsten sind für uns derzeit die Workshops. Dazu gehen unsere Bildungsreferent:innen an Schulen und führen dort mit den Schüler:innen unsere Unterrichtseinheiten durch.

In Kooperation mit Stiftungen können wir dies für einige Schulen kostenlos anbieten. Für Lehrkräfte bieten wir Fortbildungen an, in denen wir Grundlagen zu Desinformation, KI etc. vermitteln oder zeigen, wie unsere Unterrichtsmaterialien im Unterricht eingesetzt werden können. Häufig führen wir die Fortbildungen in Zusammenarbeit mit öffentlichen Partner:innen von der kommunalen bis zur Landesebene durch.

Darüber hinaus bieten wir Softwarelizenzen für unsere KI-Zugänge (ChatGPT und Bildgeneratoren) an. Die Zugänge mussten wir für einige Unterrichtseinheiten ohnehin entwickeln und haben daraus einfach ein eigenes Produkt gemacht. Damit können Lehrkräfte oder auch außerschulische Institutionen diese KI-Systeme DSGVO-konform einsetzen.

Als dritte Einkommensquelle dient die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien für Kund:innen, die eigene Bildungsangebote haben. Damit haben wir eigentlich gar nicht gerechnet, aber mittlerweile bekommen wir regelmäßig Anfragen und freuen uns schon auf die Umsetzung toller Projekte!

Reichweite gewinnen

Wie machen wir das Angebot nun bei den Lehrkräften bekannt? Mit „richtiger“ Werbung haben wir uns bisher sehr zurückgehalten und keine einzige Online-Werbung geschaltet. Ein Vorteil von Articlett.Schule gegenüber der Journalismus-App Articlett ist, dass unsere Hauptzielgruppe viel klarer ist: Lehrkräfte.

Einen großen Teil unserer Reichweite haben wir durch Kooperationen mit anderen Initiativen, Stiftungen und öffentlichen Bildungseinrichtungen erreicht. Es zahlt sich definitiv aus, Netzwerke zu pflegen. Wir bekommen sehr viel positives Feedback und wachsen stark über Weiterempfehlungen innerhalb der Lehrkräfte-Community. Das gibt uns das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

Als Open Educational Resources haben es unsere Materialien natürlich auch leichter, an Reichweite zu gewinnen. Man findet uns auf fast allen öffentlichen Plattformen für OER-Materialien wie zum Beispiel „mundo“. Unser Werbebudget stecken wir ausschließlich in Messeauftritte, die uns den Austausch mit Lehrkräften und Entscheider:innen ermöglichen. Unsere physischen Materialien können an unseren Messeständen einfach mitgenommen werden und so finden unsere Lernplakate ihren Weg in Büros und Klassenzimmer.

Derzeit arbeiten wir daran, unsere Finanzierung langfristig durch mehrere feste Einnahmequellen zu sichern. Die aktuellen technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sind so rasant, dass auch wir einige Anstrengungen unternehmen müssen, um unser Angebot aktuell zu halten. Deshalb denken wir immer wieder neu darüber nach, wie Medienbildung in Zukunft aussehen kann.

Disclaimer: Jonas Lerch hat die Journalismus-App Articlett 2020 auf den Markt gebracht. Das digitale Magazin DEINE KORRESPONDENTIN, das Werkzeugkasten-Projektleiterin Pauline Tillmann gegründet hat, kooperiert mit Articlett und ist dort neben anderen Medienmarken wie tagesschau, Guardian, taz, SZ, Netzpolitik, Katapult, neues deutschland etc. zu finden.

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