Live-Journalismus auf der Bühne

Headliner bringt ReporterInnen und Publikum zusammen

Live-Journalismus erobert deutsche und internationale Bühnen und macht Geschichten erlebbar. Das innovative Medienunternehmen „Headliner“ ist ein Vorreiter in diesem Bereich. Doch wie funktioniert das konkret – Journalismus live auf einer Bühne vor Publikum?


Viele von uns denken bei Live-Journalismus wahrscheinlich an die aufsehenerregende Performance „Geheimplan gegen Deutschland“, die Anfang Januar im Berliner Ensemble stattfand und unter anderem in der ZDF-Mediathek zu sehen war. Die szenische Lesung basierte auf einer Recherche des gemeinnützigen Medienhauses CORRECTIV, das ein Treffen von einflussreichen AfD-Politikern, Neonazis und wohlhabenden Unternehmern in Potsdam nachstellte.

CORRECTIV arbeitet seit mehreren Jahren daran, Journalismus auf die Theaterbühne zu bringen und hat unter anderem die Recherchen zu den Cum-Ex-Akten mehrfach inszeniert. Ziel ist es, ein neues Publikum zu erreichen und Journalismus anders erlebbar zu machen. Vor kurzem hat es auch explizit eine Stelle für eine:n Reporter:in für neue und kreative Formen des investigativen Journalismus ausgeschrieben. Das ist ein Novum in der deutschen Medienlandschaft.

Journalismus anders zu erzählen, zum Beispiel auch in Form von Graphic Novels, ist dem Verleger David Schraven schon lange ein Anliegen. Damit ist er vielen Zeitungsverlagen oder Rundfunkanstalten meilenweit voraus. Mit „Headliner“ gibt es seit 2023 auch ein Medien-Startup, das sich ausschließlich um die Etablierung des Live-Journalismus in Deutschland kümmert. Der Hauptunterschied zu Formaten von CORRECTIV: Journalist:innen tragen selbst ihre Geschichten vor. Das heißt, es kommen keine professionellen Schauspielenden zum Einsatz.

Eva Wolfangel bei einer JIVE-Klimashow 2024 in Berlin. I Foto: Jörg Farys

Gegründet wurde die gemeinnützige UG von Christine Liehr, Jochen Markett und Christoph Herms. Alle drei Gesellschafter bringen unterschiedliche Hintergründe und Erfahrungen mit: Liehr war zuvor in der Medienentwicklungszusammenarbeit tätig, Markett vor allem als Medientrainer und Herms hat im Jahr 2009 in Berlin eine eigene Videoproduktionsfirma namens „gretchen“ gegründet.

„Ich glaube, dass es bei einer Unternehmensgründung sehr wichtig ist, von der Idee überzeugt zu sein. Und wir waren (und sind) alle drei von der Idee des Live-Journalismus überzeugt – also dass Reporter:innen auf Bühnen gestellt werden sollen und dort vor einem Live-Publikum ihre Geschichten erzählen“, erzählt Liehr.

Die ersten Gehversuche liegen lange zurück: Jochen Markett brachte bereits 2016 die ersten „Reporter Slams“ auf Kleinkunstbühnen, seitdem finden solche Slams immer wieder in wechselnden deutschen – und mittlerweile auch in ausländischen – Städten statt. 2022 reisten die drei Gründer:innen zur ersten Live-Journalismus-Konferenz nach Helsinki und erkannten das Potenzial dieses Formats mit innovativen Ansätzen und einer engagierten Community, die diese Form des Journalismus bereits erfolgreich umsetzt.

Gerade in Zeiten von künstlicher Intelligenz, in denen viele nicht mehr unterscheiden können, was echt und was fake ist, machen Live-Performances einen echten Unterschied. In diesem Rahmen, so Liehr, könne eine direkte Verbindung zwischen den Erzählenden und dem Publikum hergestellt werden.

Bewusste Entscheidung für die Gemeinnützigkeit

Die Entscheidung für die gemeinnützige Unternehmensform fiel, weil die Gründer:innen erkannt haben, dass insbesondere im Kultur- und Kunstbereich eine Förderung unerlässlich ist. Das Finanzierungsmodell sieht vor, dass nach fünf Jahren etwa die Hälfte der Einnahmen durch Eintrittsgelder erzielt wird, während die Einnahmen durch Förderungen und Sponsoring bei jeweils 25 Prozent liegen sollen.

Neben Kunst, Kultur und Bildung hat sich „Headliner“ auch der Völkerverständigung verschrieben. Mit internationalen Touren und Kooperationen wie beispielsweise in Rumänien, Nordmazedonien und Ungarn bringt das Unternehmen Journalist:innen aus verschiedenen Ländern auf die Bühne und fördert damit den internationalen Austausch.

Reporter Jean Peters arbeitet bei CORRECTIV und war bei der Show „Gute Besserung“ im Rahmen der Ruhrfestspiele 2023 in Marl mit von der Partie. 

Hierbei ist das Netzwerk von Jochen Markett von großem Wert, da er sich seit vielen Jahren als Trainer im Umfeld der Konrad-Adenauer-Stiftung bewegt und über entsprechende Kontakte verfügt. Die derzeitige Finanzierung setzt sich aus Eigenmitteln, einem Gründungszuschuss und Fördermitteln zusammen. Liehr betont die Bedeutung von Stiftungen im gemeinnützigen Journalismus und sieht großes Potenzial in der Zusammenarbeit mit Institutionen wie der Schöpflin Stiftung.

Vorreiter stammen aus den USA

Auch wenn die Wurzeln des modernen Live-Journalismus mit dem „Pop-Up Magazine“ in den USA liegen, hat Frankreich in Europa eine Vorreiterrolle übernommen. Liehr verweist auf Vorbilder wie das „Live Magazine“ der französischen Veranstalter, das seit einigen Jahren beeindruckende Live-Shows produziert und auf einen Schlag tausende Menschen begeistert.

„Headliner“ bietet derzeit drei Hauptformate an: „Reporter Slam“, JIVE und „Gute Besserung“. „Reporter Slams“ sind humoristische Wettbewerbe, bei denen Journalist:innen ihre Rechercheerlebnisse auf unterhaltsame Weise präsentieren. JIVE verbindet Journalismus und Live-Performance zu einem abendfüllenden Theatererlebnis, das tiefere Einblicke in aktuelle Themen bietet. Das dritte Format „Gute Besserung“ widmet sich dem konstruktiven Journalismus und gibt dem Publikum Handlungsempfehlungen für einen gesünderen Medienkonsum.

Die Premiere von JIVE fand im November 2023 in Berlin mit einer Sonderedition zum Thema Klima statt. Dafür wurde die Gemeinschaftsproduktion mit CORRECTIV von der Allianz Foundation im Rahmen des Climate Cultures Call gefördert. Insgesamt wurden acht Geschichten gezeigt, wie Städte lösungsorientiert dem Klimawandel begegnen können – nicht nur in Deutschland, sondern europaweit.

Auf der Webseite von JIVE heißt es: „Unsere Shows bieten eine einzigartige Möglichkeit, den Menschen, die die Schlagzeilen machen, ganz nah zu kommen.“ Begleitet werden die Shows vom Improvisationstheater Stegreif.

Bildung als wesentlicher Pfeiler

Christine Liehr glaubt, dass Live-Journalismus in Deutschland trotz der Herausforderungen bei der Umsetzung ein großes Potenzial hat. Sie betont den Aufwand und die sorgfältige Choreographie, die notwendig sind, um qualitativ hochwertige Live-Shows zu produzieren. Dennoch sieht sie einen klaren Bedarf und ein wachsendes Interesse an solchen Formaten, die nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam und interaktiv sind.

Wichtig für journalistische Start-ups seien Geduld und Ausdauer. Auch wenn es manchmal Rückschläge gebe, sei es wichtig, an der Vision festzuhalten und kontinuierlich daran zu arbeiten. So will „Headliner“ nicht nur Journalismus auf die Bühne bringen, sondern auch jüngere Menschen erreichen. Deshalb plant das Medien-Start-up eine verstärkte Präsenz an Schulen. Eine entsprechende Kooperation mit „Journalismus macht Schule“ ist in Planung.

Mit innovativen Formaten, internationalen Kooperationen und einem starken Engagement im Bildungsbereich setzt das junge Unternehmen neue Maßstäbe. Live-Journalismus ist damit mehr als ein Trend – es ist eine weltweite Bewegung und ein Zeichen dafür, dass guter Journalismus lebendig und nahbar ist.

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