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Tsüri.ch macht nutzerzentrierten Journalismus

Das digitale Stadtmagazin Tsüri.ch aus Zürich beweist seit Jahren, dass Lokaljournalismus für eine junge Zielgruppe möglich und finanzierbar ist. Wir haben mit Gründer Simon Jacoby über die Anfänge, Herausforderungen und Lehren beim Aufbau einer stabilen Medienmarke gesprochen.


Simon Jacoby gründete Tsüri.ch im Januar 2015 als Hobbyprojekt, das sich mittlerweile zu einem festen Bestandteil der Zürcher Medienlandschaft entwickelt hat. Ursprünglich als Selbsthilfeprojekt für angehende Journalist:innen gedacht, besteht das Team heute aus zwölf Personen, verteilt auf zehn Vollzeitstellen. Zwei zentrale Fragen trieben ihn dabei an: Kann man mit digitalem Lokaljournalismus eine junge Zielgruppe für politische Themen begeistern? Und ist es möglich, rein digitalen Lokaljournalismus erfolgreich zu betreiben?

Diese Fragen führten zur Gründung von Tsüri.ch, das sich an die Altersgruppe der 20- bis 40-Jährigen richtet und sich insbesondere mit urbanen Themen wie Wohnungskrise und Verkehrswende auseinandersetzt. Die Finanzierung von Tsüri.ch basiert auf mehreren Säulen, wobei die Mitgliedschaft die wichtigste ist. Knapp 2.000 Personen zahlen monatlich mindestens acht Franken – umgerechnet knapp neun Euro –, um das Magazin zu unterstützen.

Podiumsdiskussion zu Kreislaufwirtschaft in Oerlikon 2022.

Ein diversifiziertes Geschäftsmodell als Erfolgsgeheimnis

Weitere Einnahmen generiert Tsüri.ch durch Werbung, insbesondere im täglichen Newsletter, sowie durch Veranstaltungspartnerschaften. Die Redaktion realisiert jährlich 20 bis 30 Veranstaltungen und setzt einzelne Themen in Zusammenarbeit mit Firmen, Verbänden und öffentlichen Institutionen um. „Das ist für sie eine besonders elegante Art, ihre Werbebotschaften zu platzieren – und für uns eine veritable Einnahmequelle“, erklärt Co-Geschäftsführer Jacoby. Natürlich werde das entsprechend kenntlich gemacht, genauso wie im Newsletter und auf Social Media.

Eine besondere Rolle spielt das regelmäßige Crowdfunding, mit dem themenspezifische Projekte finanziert werden. Es ermöglicht dem Medienprojekt, konkret auf die Interessen der Community einzugehen und gleichzeitig wichtige Recherchen zu finanzieren. Ein- bis zweimal im Jahr können so Themen aufgegriffen werden, für die sonst im Redaktionsbetrieb keine Zeit bleibt. Die Community ist erstaunlich zahlungskräftig und gibt im Schnitt zwischen 10.000 und 25.000 Franken für eine solche Recherche. 

Nicht zu unterschätzen ist auch der Bereich Merchandising. Im eigenen Shop werden unter anderem (linke) Socken, Caps, Sticker, Feuerzeuge und T-Shirts angeboten, die zwar finanziell nicht viel einbringen, aber wichtig sind, „um in der Stadt sichtbar zu sein und wahrgenommen zu werden“.

Die Konkurrenz um Aufmerksamkeit

Zuerst war Tsüri.ch ein Verein, dann eine Aktiengesellschaft. Dann wurde der Verein aufgelöst und ein neuer Verein gegründet. Die gemeinnützige Körperschaft war wichtig, um bei gewissen Förderinstitutionen Geld zu erhalten. Gleichzeitig hat auch der For-Profit-Arm seine Daseinsberechtigung: „Die Aktiengesellschaft haben wir gegründet, weil uns Private nicht einfach Geld geben sollten, sondern mitbestimmen wollten. Deshalb haben wir die beiden Körperschaften.“

Fragt man Jacoby nach den Hauptkonkurrenten in Zürich, antwortet er: Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit auf Instagram und WhatsApp. Und die Schweizer Tageszeitung „Tages-Anzeiger“. „Die Kolleg:innen haben immer wieder ähnliche Themen und sicher auch eine ähnliche Zielgruppe.“ Das Tsüri-Team habe sich eine Nische erkämpft, die aber mittlerweile sehr gut besetzt sei. „Der größte Unterschied zu den großen Verlagen ist, dass wir nicht Journalismus für das Geschäft machen, sondern umgekehrt. Wir machen das Geschäft für den Journalismus.“

Inhaltlich ist Tsüri.ch näher an einer jüngeren Zielgruppe und davon überzeugt, dass Journalismus für die gesamte Stadtbevölkerung zugänglich sein muss. Deshalb gibt es auch keine Bezahlschranke. Jacoby erklärt: „Wir machen Journalismus nicht als Produkt, sondern als Inhalt. Und deshalb wollen wir, dass jeder, der will, darauf zugreifen kann. Sobald man eine Paywall hochzieht, schließt man ein Publikum aus, das sich ebenfalls informieren will.“

Simon Jacoby hat Tsüri.ch vor zehn Jahren gegründet.
Foto: Emilia Simon

Wichtige Learnings und Erfolge

Eine der wichtigsten Lektionen, die Co-Geschäftsführer Jacoby gelernt hat, ist die Bedeutung von Beharrlichkeit. Herausforderungen sind im Alltag eines Medienunternehmens allgegenwärtig und es braucht Durchhaltevermögen, um langfristig erfolgreich zu sein. Außerdem hat sich gezeigt, dass junge Menschen sehr wohl an politischen Inhalten interessiert sind, wenn diese attraktiv aufbereitet sind.

Eine der erfolgreichsten Geschichten war zum Beispiel die Recherche über einen übergriffigen Professor an der ETH Zürich. Es ist also keineswegs so, dass diese Zielgruppe nur Unterhaltung oder Ablenkung sucht, sondern sich auch mit vermeintlich „schweren“ Themen auseinandersetzen kann und will. 

Eine weitere wichtige Erkenntnis ist die Bedeutung von Community-Building und Events, die nicht nur als Diskussionsforen, sondern auch als Grundpfeiler fürs Geschäftsmodell dienen. Ein besonders schöner Moment für den Chefredakteur war das Erreichen des Break-Even-Punkts 2021. Dadurch konnte Tsüri.ch die Löhne verbessern und erstmals ein 13. Monatsgehalt ausbezahlen. Dies war ein wichtiger Schritt für die finanzielle Stabilität des Magazins und ein großer Erfolg für das ganze Team.

Definition: Break-Even-Punkt

Der Break-even-Point bezeichnet in der Betriebswirtschaft den Zeitpunkt, an dem ein Unternehmen weder Gewinn noch Verlust macht. Er tritt ein, wenn die gesamten Erlöse die gesamten Kosten decken. Er ist entscheidend für die Planung und zeigt an, ab wann ein Unternehmen profitabel wird, und hilft bei der Beurteilung von Investitionen und neuen Projekten.

Natürlich gab es im Rückblick auch Fehler. Einer der Hauptfehler war die anfängliche Vernachlässigung eines klaren Geschäftsmodells. Jacoby rät angehenden Gründer:innen, das Geschäftsmodell von Anfang an mitzudenken und sich auf wenige relevante Themen zu konzentrieren. Der direkte Austausch mit politischen Entscheidungsträger:innen, die einen regelmäßig mit Tipps für mögliche Geschichten versorgen, und die Nähe zur Zielgruppe sind ebenfalls essenziell.

Der Gründer betont die Bedeutung, sich auf die Community zu konzentrieren und nicht nur auf die Anerkennung innerhalb der eigenen Branche. So kann es durchaus sinnvoll sein, auch mal witzige oder unterhaltsame Inhalte zu produzieren, um das Publikum besser anzusprechen. „Bei Bevölkerungsbefragungen zeigt sich immer wieder, dass die Themen Wohnen und Mobilität die meisten Menschen bewegen, also konzentrieren wir uns darauf, weil wir mit einem kleinen Team natürlich nicht alle relevanten Themen abdecken können.“

Bald 10-jähriges Jubiläum

Tsüri.ch ist das beste Beispiel dafür, wie digitaler Lokaljournalismus erfolgreich umgesetzt werden kann, indem man auf die Bedürfnisse der jungen urbanen Zielgruppe eingeht und innovative Finanzierungsmodelle nutzt. Im Winter 2024 steht das zehnjährige Jubiläum von Tsüri.ch an und Jacoby hofft, die Basis der zahlenden Mitglieder deutlich ausbauen zu können.

Ziel ist es, die Zahl auf 3.000 zu erhöhen. Dies soll durch gezielte Kampagnen und technische Verbesserungen erreicht werden. Die Einwohnerzahl von Zürich beträgt übrigens 430.000 Menschen, wobei man von der Metropolregion Zürich von etwa 1,4 Millionen Einwohner:innen spricht. „Ich bin sehr stolz darauf, dass wir uns ohne große finanzielle Unterstützung oder institutionelle Förderung am Markt behaupten können“, sagt der Gründer.

Die Redaktion ist in den letzten Jahren kräftig angewachsen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dies bedeutet, viele Ressourcen für Fundraising, Werbung, Sponsoring und Mitgliedergewinnung einzusetzen. Es gibt auch Kooperationen mit Stiftungen, um spezielle Projekte zu finanzieren. Der Einheitslohn bei Tsüri.ch beträgt 4.300 Schweizer Franken, umgerechnet 4.600 Euro. Für Zürich ist das, ohne Übertreibung, ein Niedriglohn. „Die Leute arbeiten freiwillig bei uns, und von unserem Lohn kann man leben. Man lebt nicht luxuriös, man wird auch nicht reich, aber es reicht“, so Jacoby.

Die Redaktion versucht das auszugleichen, indem dem Team flexibles Arbeiten ermöglicht, vier statt fünf Tage arbeitet und fünf Wochen Urlaub hat. Außerdem wird gemeinsam zu Mittag gegessen – jeden Tag kocht jemand anderes aus dem Team – , so dass eine persönliche Ebene hinzukommt, die für die Zufriedenheit der Mitarbeitenden wohl mindestens genauso wichtig ist wie das monatliche Einkommen.

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