FAQ zum gemeinnützigen Journalismus

Die wichtigsten Fragen zum Nonprofitjournalismus

Wir beantworten die wichtigsten Fragen rund um den Nonprofitjournalismus. Welche Chancen er für Gründer:innen bietet und warum wir als Gesellschaft ihn brauchen.

#1 – Was ist Nonprofitjournalismus?

Unter Nonprofit- oder gemeinnützigem Journalismus versteht man journalistische Organisationen und Initiativen, die ohne Profitabsichten redlichen Journalismus machen, der dem öffentlichen Interesse dient. Im engeren Sinne handelt es sich dabei um Organisationen, die von den Finanzbehörden als gemeinnützig anerkannt sind.

#2 – Könnt Ihr das Phänomen auch genauer definieren?

Ja. Unser Verständnis des gemeinnützigen Journalismus haben wir im Report „Pioniere im gemeinnützigen Journalismus“ genauer definiert. Geholfen haben uns dabei zum einen der Phineo-Report „Wozu Non-Profit-Journalismus?“ sowie das Werk der US-amerikanischen Journalismusforscherin Magda Konieczna, die für die Erforschung des Feldes auch die Situation in Deutschland untersucht hat. In ihrem Buch „Journalism Without Profit. Making News When the Market Fails“ arbeitet sie wesentliche Charakteristika heraus, die uns als Richtschnur dienten. Zum anderen haben wir von den Diskussionen im Forum Gemeinnütziger Journalismus sowie der konzeptionellen Arbeit mit unserer europäischen Partnerorganisation Arena for Journalism in Europe profitiert, als wir begannen, den neuen Sektor zu vermessen und zu vernetzen. Auf dieser Grundlage ist eine Arbeitsdefinition entstanden, ein Vorschlag, der den besagten Bereich so eng wie möglich und so weit wie nötig zu erfassen versucht.

Die Medienprojekte im gemeinnützigen Journalismus

  • werden bzw. wurden gegründet, um Lücken zu schließen, die unter anderem durch den Rückzug privatwirtschaftlicher Medien aus bestimmten Feldern entstanden sind und so den aufklärerischen Journalismus unter Druck gesetzt haben
  • dienen in erster Linie dem öffentlichen Interesse (Public Interest) und zielen mit ihren Recherchen oft auf gesellschaftliche Wirkung, Abhängigkeiten von privaten Interessen und individuelle Einflussnahme werden vermieden
  • erstreben keine Profitmaximierung, sondern konzentrieren sich auf das Wohl der Allgemeinheit und der eigenen Community. Oft sind sie soziale Unternehmen oder Vereine, die keine Gewinne ausschütten, sondern diese in die Organisation oder ihre Mission reinvestieren
  • verfügen über einen professionellen Stab an Mitarbeiter:innen, die für ihre Arbeit bezahlt werden – oder streben dies zumindest in Bezug auf das Kernpersonal an. Vielfach binden sie auch ehrenamtliche Kräfte oder die Community aktiv ein, zum Beispiel bei der Themenfindung oder der Recherche
  • sind transparent und legen ihre Strukturen und ihre Finanzierung offen
  • genügen den Anforderungen an redliche Recherchen und Veröffentlichungen, die in den Leitlinien des Forums Gemeinnütziger Journalismus und im Pressekodex normiert sind

#3 – Warum brauchen wir den gemeinnützigen Journalismus?

Weil klassische Geschäftsmodelle (vor allem der Verkauf von Anzeigen und Abos) erodieren, geraten Medienhäuser unter wirtschaftlichen Druck. Die nötigen Sparmaßnahmen treffen Redaktionen und führen dort zu Arbeitsverdichtung. Für solide Recherchen bleibt immer seltener Zeit. Freie Journalist:innen leiden unter viel zu niedrigen Honoraren. Nonprofitjournalismus ist nicht der Ausweg aus der Medienkrise, aber eine Alternative zu den traditionellen Modellen privater Medienunternehmen und dem gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Durch neue Erlösmodelle (z. B. Stiftungsförderung und Spenden) können neue Redaktionen entstehen und damit auch Arbeitsplätze geschaffen werden. So kann die Medienvielfalt bewahrt und dringend nötige Innovationen vorangetrieben werden.

Etwa 15 Interessierte kamen zum Kick-off der ersten Pop-up-Redaktion der neuen karla-Redaktion im April 2024 in Konstanz. I Foto: Niko Häse

#4 – Dient Journalismus nicht ohnehin dem Gemeinwohl und ist damit auch gemeinnützig?

Theoretisch ja. Die gesellschaftliche Bedeutung von Journalismus ist in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschrieben. Zur Ausübung der verfassungsrechtlich verbrieften Pressefreiheit genießt der Journalismus zudem Sonderrechte (z. B. Quellenschutz), ähnlich denen von Ärzt:innen und Jurist:innen. Im steuerrechtlichen Sinne ist Journalismus aber kein gemeinnütziger Zweck und damit formal nicht als gemeinnützig anerkannt.

#5 – Wer entscheidet was gemeinnützig ist?

Die Abgabenordnung, kurz AO, ist das zentrale deutsche Steuergesetz und regelt, was von den Finanzämtern als gemeinnützig anerkannt werden kann. In § 52 sind die „gemeinnützigen Zwecke“ aufgezählt, darunter die Förderung von Wissenschaft und Forschung, von Religion, von Tierschutz, Sport, Kleingärtnerei, Karneval, Amateurfunk und manchem mehr. Hinweise darauf, dass auch Journalismus gefördert werden kann, sucht man in der AO vergeblich.

#6 – Aber CORRECTIV ist doch eine gemeinnützige Redaktion. Wie kann das sein?

Stimmt. Neben CORRECTIV gibt es noch eine ganze Reihe Redaktionen, die den Status der Gemeinnützigkeit erlangen konnten. Das gelingt aber nur über Umwege. So müssen diese Redaktionen das Finanzamt davon überzeugen, einen der in der Abgabenordnung genannten Zwecke zu erfüllen (z. B. Volksbildung oder Völkerverständigung). Dafür reicht es aber in der Regel nicht, auf das eigene journalistische Angebot zu verweisen. Stattdessen müssen die Redaktionen etwa Bildungsangebote für die Bevölkerung anbieten (z. B. im Bereich Medienkompetenz). Das bindet aber Ressourcen (Personal, Zeit und Geld), die nicht in Recherche gesteckt werden können. Und: Es fehlt die Rechtssicherheit. Das heißt, dass dieser „Umweg“ über einen der anderen Zwecke erfolgreich ist, ist in der Praxis aber nicht garantiert, da die Finanzämter Einzelfallentscheidungen treffen. Wünschenswert wäre also eine klare Regelung in der Abgabenordnung, die eine Anerkennung journalistischer Recherchearbeit möglich macht.

#7 – Welche Vorteile hätte eine Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Journalismus?

Eine Organisation, die von den Finanzbehörden als gemeinnützig anerkannt wird, erhält Steuervergünstigungen (z. B. geringere Körperschaftssteuer) und die Möglichkeit, Spendenbescheinigungen auszustellen. Das heißt, Menschen, die den Journalismus unterstützen möchten, können ihre Spende – genau wie bei Spenden an Menschenrechts- oder Tierschutzorganisationen – in der Steuererklärung geltend machen. Neben diesen finanziellen Vorteilen hätte die Gemeinnützigkeit aber auch eine Signalwirkung: Der Status würde verdeutlichen, dass sich eine Redaktion dem Wohle der Allgemeinheit verpflichtet fühlt und sich niemand an den Erlösen bereichert: kein Einzelner, kein Unternehmen und auch keine Bank. Außerdem können viele Stiftungen ihre Fördermittel nur an gemeinnützige Organisationen ausschütten. Ohne eine Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Journalismus bliebe der Branche diese wichtige Geldquelle verwehrt.

Geschäftsführerin Pauline Tillmann (2.v.r.) erklärt die Strategie der karla gGmbH im Jahr 2024 mit Förderung der Deutschen Postcode Lotterie im Rücken. I Foto: Niko Häse

#8 – Bedeutet Gemeinnützigkeit auch Ehrenamt?

Nein. Gemeinnützigkeit bedeutet nicht, automatisch ehrenamtlich, also für lau, zu arbeiten. Auch gemeinnützige Redaktionen müssen versuchen, ein nachhaltiges Finanzierungsmodell zu entwickeln, um langfristig hochwertigen Journalismus bieten zu können. Auf dem gesättigten Medienmarkt kann nur überzeugen, wer Qualität zu bieten hat. Und Qualität kann nur anbieten, wer aufwendigen Journalismus adäquat bezahlt. Qualität kostet! Gründer:innen (im Journalismus wie in jedem anderen Bereich) sollte man ehrlicherweise sagen, dass sie – vor allem in der Gründungsphase – an einem gewissen Grad von Selbstausbeutung wohl nicht vorbeikommen werden.

#9 – Machen gemeinnützige Redaktionen besseren Journalismus?

Gemeinnützige Redaktionen arbeiten grundsätzlich nach den gleichen redaktionellen Standards, die für die gesamte Branche gelten. Allerdings ist das Gründen einer gemeinnützigen Medienorganisation oft die Folge von negativen Erfahrungen in traditionellen Medienhäusern (z. B. zu wenig Zeit für Recherche, kein Platz für relevante Themen usw.). Gründer:innen von gemeinnützigen Medienorganisationen treibt daher oft der Wille an, einen anderen Journalismus zu machen, als den, der in den alten Strukturen möglich war. Das führt unter anderem dazu, dass gemeinnützige Redaktionen Themen aufgreifen, die sonst kaum eine Rolle spielen, oder dort berichten, wo privatwirtschaftliche Verlage sich längst zurückgezogen haben (z. B. im Lokalen).

# 10 – Wie realistisch ist es, dass Journalismus als gemeinnützig anerkannt wird?

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung haben SPD, Grüne und FDP 2021 vereinbart, „Rechtssicherheit für den gemeinnützigen Journalismus“ herbeizuführen. Bislang bleibt die Politik dieses Versprechen schuldig. Um Druck auf die Politik auszuüben, hat sich 2019 das Forum Gemeinnütziger Journalismus gegründet – ein Zusammenschluss aus mittlerweile mehr als 30 Organisationen, Redaktionen, Stiftungen und Journalismus-Gewerkschaften. Das Forum vertritt die Auffassung, dass gemeinnütziger Journalismus dabei helfen würde, die Medienvielfalt in Deutschland zu bewahren, die Kritik- und Kontrollfunktion des Journalismus zu stärken und so die öffentliche Meinungsbildung in der Demokratie zu beleben.

# 11 – Ich bin immer noch skeptisch. Wo kann ich mehr Argumente finden?

Das Forum Gemeinnütziger Journalismus hat sich auf seiner Webseite ausführlich mit den Pro- und Contra-Argumenten auseinandergesetzt. Viele Expert:innen kommen zudem im „Whitepaper Non-Profit-Journalismus“ zu Wort, das die Otto-Brenner-Stiftung 2023 als aktuellen Lagebericht zum gemeinnützigen Journalismus in Deutschland publiziert hat.

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