Inklusive Nachrichten

Lokale News in Leichter Sprache

Das inklusive Redaktionsteam des gemeinnützigen Vereins „Einfach Heidelberg e.V.“ betreibt ein barrierearmes Online-Nachrichten-Portal. Seit 2016 recherchieren Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam und veröffentlichen Lokalnachrichten in Leichter Sprache.


Alle Menschen haben das Recht auf Informationen. Das besagt Artikel 21 der UN-Behindertenrechtskonvention. Und: Alle Menschen haben ein Bedürfnis nach Informationen. Informationen sind die Grundlage für gesellschaftliche und politische Teilhabe.

Werden Menschen am Zugang zu Informationen gehindert, werden sie von der öffentlichen Meinungsbildung ausgeschlossen und von gesellschaftlichen Debatten ausgegrenzt. Der barrierefreie Zugang zu Informationen ist daher eine Frage der demokratischen Meinungsbildung. Wie eine Demokratie den Zugang zu Informationen gestaltet, entscheidet auch darüber, wie inklusiv sie ist.

Online-Nachrichten in leichter Sprache

In Heidelberg arbeitet seit 2016 ein inklusives Redaktionsteam gemeinsam an einem barrierearmen Online-Nachrichten-Portal in Leichter Sprache. Die Internetseite heißt www.einfach-heidelberg.de. Das Nachrichtenportal will erreichen, dass alle Heidelberger:innen – unabhängig von ihrem Bildungshintergrund, ihrer Nationalität, ihrem Alter oder ihrer Behinderung – die Themen, die die Menschen in der Stadt bewegen, miterleben und gestalten können.

Die Nachrichten der Internetseite sind barrierearm zugänglich, lokal, leicht verständlich und kostenlos. „Einfach Heidelberg“ leistet somit einen wichtigen Beitrag für die politische und gesellschaftliche Teilhabe. Barrierearm bedeutet: Möglichst viele Menschen sollen die Webseite nutzen und die Inhalte verstehen können.

Das heißt: Leichte Sprache, kurze Sätze, keine Nebensätze, viele Absätze und Bilder. Der sogenannte „Mediopunkt“ trennt Wörter („Näh·gruppe“) – das hilft, ein langes Wort leichter zu lesen. Schwierige Begriffe werden vermieden oder in Leichter Sprache erklärt. Jeder Satz enthält nur eine Aussage. Die Webseite ist übersichtlich gestaltet und einfach zu bedienen. Man kann die Texte vergrößern und vorlesen lassen.

Das Redaktionsteam trifft sich regelmäßig, um Themen zu diskutieren. I Fotos: Luca Siermann

14 Millionen Menschen betroffen

Leichte Sprache macht komplexe Informationen einfacher und verständlich. Laut Studien gibt es rund 14 Millionen Menschen in Deutschland, die auf Leichte Sprache angewiesen sind. Die Zielgruppe für Leichte Sprache sind Menschen mit Lese- und Lernschwierigkeiten, Menschen mit geistiger Behinderung oder Demenz, ältere Menschen, aber auch Menschen mit geringen Deutschkenntnissen – letztlich profitieren alle Menschen von weniger Amtsdeutsch, Schachtelsätzen und Fachwörtern.

„Einfach Heidelberg“ arbeitet dabei nach klaren Standards: Der Verein hat dafür „Hinweise zur Leichten Sprache“ zusammengestellt. Sie dienen als Arbeitsgrundlage der Redaktionsarbeit. Die Empfehlungen basieren auf einer Zusammenschau und kritischen Sichtung der aktuellen und gängigen Regelwerke zu Leichten Sprache – Netzwerk Leichte Sprache und Inklusion Europe – und den Erfahrungen der Redaktion.

Es wurden dabei auch kritische wissenschaftliche Analysen berücksichtigt. Die Webseite und Standards wurden von Beginn an gemeinsam mit Menschen mit Behinderung und unter wissenschaftlicher Begleitung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg erarbeitet.

Inklusives Redaktionsteam

Bei „Einfach Heidelberg“ kann jede:r mitmachen und jede:r bekommt die Unterstützung, die er oder sie braucht. In der Redaktionssitzung findet keine Übersetzungsarbeit statt, vielmehr sind die Redaktionsmitglieder von Anfang an auf Augenhöhe in die Entstehung der Beiträge eingebunden. Das Besondere ist, dass hier nicht nur Nachrichten für Menschen mit Behinderung gemacht werden, sondern dass sie ganz selbstverständlich Teil der Entstehung der Nachrichten sind.

Das inklusive und altersgemischte Redaktionsteam besteht aktuell aus acht Personen – mit und ohne Behinderung – und trifft sich einmal pro Woche für zwei Stunden. Das Team sammelt gemeinsam Themen und diskutiert darüber, recherchiert Informationen, führt Interviews, verfasst Texte in Leichter Sprache, macht Fotos und erstellt Erklärfilme.

Außerdem recherchieren die Redaktionsmitglieder selbst vor Ort und führen Interviews. Dem Team werden dadurch Einblicke ermöglicht, die sonst schwer zugänglich wären. Dazu gehören Blicke hinter die Kulissen wie beispielsweise bei der Feuerwehr und im Theater. Auch anspruchsvolle und kontroverse Themen werden nicht gescheut – etwa die Erklärung der Kommunalwahlen oder ein Interview mit Aktivist:innen der „Letzten Generation“.

Mehr Teilhabe ermöglichen

Teilhabe umsetzen und redaktionelle Arbeit unter Einhaltung journalistischer Standards ist das Selbstverständnis des Projekts. Jede:r Redakteur:in bringt sich so ein, wie er oder sie das kann und möchte. Schreiben und lesen zu können oder sich mit Computern auszukennen, sind keine Voraussetzung für die Mitarbeit. Alle bekommen die Unterstützung, die sie brauchen. So können alle ihre Kompetenzen weiterentwickeln und Neues lernen: Sei es beim Arbeiten am PC oder mit dem Tablet, eine Digitalkamera oder ein Diktiergerät zu bedienen.

Neben Leichter Sprache wird sorgfältige journalistische Arbeitsweise, die Einhaltung redaktioneller Standards, journalistische Objektivität, digitale Medienkompetenz, der Umgang mit Sozialen Medien und die kritische Auseinandersetzung mit Informationen aus dem Internet vermittelt. Die Redaktion vereint Inklusion und digitalen Journalismus. Wir lernen voneinander und miteinander.

Einfach Heidelberg gehört zu den Pionier:innen für Leichte Sprache im Journalismus.

Nachrichten werden in Deutschland nur selten in Leichter Sprache angeboten. Während es zwar auf immer mehr Webseiten auch ein Angebot in Leichter Sprache gibt, ist das Angebot an Online-Nachrichten in Leichter Sprache bislang überschaubar und die Nutzung nach wie vor häufig mit Barrieren verbunden. Zudem wird in den Medien meist nicht für Menschen mit Behinderung, sondern über Menschen mit Behinderung berichtet.

Bei „Einfach Heidelberg“ entscheiden Menschen mit Behinderung selbst, welche Themen sie interessieren – und übersetzen nicht nur die Artikel von anderen. Als ich das Projekt 2016 gegründet habe, bestanden im Wesentlichen zwei Angebote: „nachrichtenleicht“ vom Deutschlandfunk und „taz.leicht“, das 2021 wieder eingestellt wurde.

Es gibt inzwischen zwar deutlich mehr Nachrichten-Angebote bei öffentlich-rechtlichen Sendern in Leichter Sprache (MDR, NDR, Tagesschau), inklusive Redaktionen, in denen Menschen mit Behinderung aktiv mitarbeiten, bleiben jedoch eine Ausnahme. Mit „Ohrenkuss“ gibt es in Bonn ein Magazin von Menschen mit Down-Syndrom, in Österreich gibt es „andererseits“. Ein inklusives Redaktionsteam im Bereich Lokaljournalismus ist jedoch bislang deutschlandweit einzigartig.

Kosten und Finanzierung

Hinter dem Portal „Einfach Heidelberg“ steht ein gemeinnütziger Verein. Finanziert wird das Projekt ausschließlich durch Spenden, Fördergelder und Mitgliedsbeiträge. Der Verein hat aktuell 30 Mitglieder. Das gesamte Team arbeitet ehrenamtlich, daher fallen keine Personalkosten an. Die laufenden Fixkosten – Serverkosten, technisches Equipment – sind gering. Für unserer Redaktionssitzungen dürfen wir einen barrierefreien Raum im Vereinsheim der Sportgemeinschaft Heidelberg-Kirchheim kostenlos nutzen.

5 Tipps und Erfahrungen

Zeit und Geduld für Formalitäten einplanen: Plane ausreichend Zeit für bürokratische Schritte wie die Vereinsgründung ein. Überlege genau, welche Rechtsform für dein Projekt geeignet ist, und hole dir bei Bedarf Beratung ein.

Stiftungen sorgfältig auswählen: Recherchiere gründlich, um die Stiftung zu finden, die am besten zum Projektziel passt. Nimm dir genug Zeit für eine sorgfältige Antragstellung.

Personalkosten im Budgetplan nicht vergessen: „Einfach Heidelberg“ war nie darauf angelegt, Geld zu erwirtschaften. Personalkosten waren nie vorgesehen. Doch auch gemeinnützige Projekte sollten Personalkosten einplanen – zu viel Selbstausbeutung schadet langfristig.

Netzwerk aufbauen: Pflege Kontakte zu anderen Initiativen, Organisationen und Unterstützer:innen – ein stabiles Netzwerk ist ein wertvoller Rückhalt.

Ressourcen realistisch einschätzen und verteilen: Unterschätze nicht den zeitlichen Aufwand und verteile Aufgaben auf mehrere Schultern, um das Projekt auch dann stabil zu halten, wenn einzelne engagierte Personen ausfallen oder weniger zeitliche Ressourcen ins Projekt stecken können.

Eine der größten Herausforderungen sind die zeitlichen Ressourcen: Die Redaktion trifft sich einmal pro Woche für zwei Stunden in Präsenz. Da alle Redaktionsmitglieder ehrenamtlich arbeiten und neben Beruf und Familie nur begrenzt Zeit investieren können, dauert es oft mehrere Wochen von der ersten Idee bis zum fertigen Artikel. Aktuell veröffentlichen wir im Schnitt ein bis zwei Artikel pro Monat. An Ideen und möglichen Aktivitäten mangelt es nicht, doch die Umsetzung ist häufig eine Frage der zeitlichen Kapazitäten. Hier stoßen wir immer wieder an Grenzen.

Die Anschubfinanzierung kam aus Spenden, Förderungen sowie von Stiftungen und ermöglichte wichtige Investitionen in Entwicklung der Webseite, Grafiken, technische Ausstattung wie Laptops und Kameras sowie die Entwicklung und Produktion von Seminarmaterialien. Besonders wertvoll war das sogenannte „Grow-Stipendium“, das jedes Jahr vom Verein Netzwerk Recherche vergeben wurde. Es hat der Redaktion gerade in der Anfangszeit enorm Luft verschafft, wichtige Freiräume ermöglicht sowie Beratung und Vernetzungsmöglichkeiten geschaffen.

Moritz Damm (Mitte) hat das Projekt 2016 gegründet.

Ausblick und Vision

Neben der redaktionellen Arbeit bietet „Einfach Heidelberg“ immer wieder Workshops zum Thema „Informationen und Nachrichten in Leichter Sprache“ an. Diese werden unter anderem von Behörden, Journalist:innen und Vereinen gebucht. Die dadurch erhaltenen Aufwandsentschädigungen kommen der Vereinsarbeit zugute.

„Einfach Heidelberg“ sucht weiterhin nach engagierten Menschen, die das Redaktionsteam verstärken und bereichern. Es sollen regelmäßig mehr Artikel in Leichter Sprache veröffentlicht und zusätzliche Workshops für Leichte Sprache angeboten werden.

Geplant ist außerdem der Ausbau von Video-Content sowie eine stärkere Präsenz in den sozialen Medien. Wir planen derzeit ein KI-gestütztes Übersetzungstool, das künftig Journalist:innen und Behörden dabei unterstützen soll, Informationen in leicht verständlicher Sprache auf Grundlage unsere Erfahrungen bereitzustellen.

Total
0
Shares
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

You May Also Like
Total
0
Share