Teilhabe durch Schreibtandems

Die Arbeit mit eingewanderten Menschen bei kohero

Wie berichten Medien in Deutschland über die Themen Flucht und Migration? Wie können Journalist:innen ohne Deutschkenntnisse in Deutschland arbeiten? Wie ermöglichen Schreibtandems die Teilhabe von Geflüchteten? Hussam Al Zaher, Gründer von kohero, berichtet über seinen Weg in den deutschen Journalismus und zeigt, wie Teilhabe in der Berichterstattung gelingen kann.


Als ich 2015 nach Deutschland gekommen bin, hatte ich den Wunsch im Kopf, dass ich irgendwann beim Magazin „Der Spiegel“ arbeiten würde. Warum beim Spiegel? Ich glaube, weil der Spiegel für mich das einzige Magazin war, dass viele Artikel, Recherchen und Informationen über den arabischen Raum veröffentlicht hat. Damals, als der Spiegel sich noch mehr für internationale Nachrichten interessiert.

Als ich dann langsam in Deutschland ankam und die deutsche Sprache Schritt für Schritt lernte, traf ich auch immer mehr Deutsche und knüpfte Freundschaften. Dabei wurde mir klar, dass ich kaum eine Chance hatte, als Journalist in einer deutschen oder deutschsprachigen Redaktion zu arbeiten. Denn ich konnte wirklich nicht wie Goethe schreiben und sprach leider noch grammatik- statt akzentfrei Deutsch.

Gleichzeitig standen mir aber auch keine Türen offen, um in meiner Muttersprache Arabisch als Journalist in Deutschland zu arbeiten. Der Exiljournalismus war zu der Zeit – und ist heute auch noch – eine sehr kleine Nische. Ja, langsam hat sich etwas getan und es gibt für ein paar Exiljournalismus-Projekte Anerkennung und Unterstützung aus den größeren Medienhäusern. Aber ich finde, dass die deutsche Medienlandschaft immer noch wenig Platz hat für anders- oder mehrsprachige Inhalte, selbst auf Englisch. Ich verstehe bis jetzt nicht, warum das so ist. Gilt auch in den Medien der bekannte Satz „in Deutschland wird Deutsch gesprochen“?

Gründung des „Flüchtling-Magazin“

Deshalb habe ich mich 2017 entschieden, selbst ein Magazin zu gründen, in dem Menschen mit Fluchtgeschichte, wie ich, ihre Geschichten und Perspektiven schreiben und veröffentlichen können. Es war eine wichtige Entscheidung für mich, dass dieses Magazin (damals waren wir nur online) auf Deutsch sein sollte. Denn ob jemand aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder Venezuela kommt, hier angekommen ist Deutsch unsere gemeinsame Sprache und auch unsere gemeinsame Sprache mit den Menschen ohne Flucht- oder Migrationsgeschichte.

Das kohero Magazin wurde also 2017 unter dem Namen „Flüchtling-Magazin“ von mir und mit der Unterstützung von vielen Freund:innen und Bekannten gegründet. Damals stellte sich mir vor allem die Frage, warum Geflüchtete wie ich nicht häufiger zu Wort kommen und über sich selbst erzählen und berichten können. Mein Wunsch ist, auch heute zu zeigen, dass Menschen mit Fluchtgeschichte keine homogene, anonyme Gruppe sind, sondern Menschen mit unterschiedlichen Geschichten und individuellem Charakter. Damals wusste ich nicht, dass es diese Art von Journalismus gibt, der als humanitärer Journalismus bezeichnet wird. Ich mag diesen Begriff, denn ich sehe die Aufgabe des Journalismus darin, über andere Menschen zu berichten und Wissen zu verbreiten.

Unter humanitärem Journalismus versteht man die Berichterstattung über die Themen Migration, Flucht, Integration, und Fremdenfeindlichkeit. Angelehnt an den Friedensjournalismus – eine Art der Berichterstattung aus Krisenherden und Kriegsgebieten, die nicht aus der Sicht der Militärs oder Aggressoren berichtet, sondern sich in den Dienst des Friedens stellt (siehe hier) –, verfolgt der humanitäre Journalismus gemäss Kai Hafez folgende Ziele: Steigerung von Quantität und Qualität der Berichterstattung, Einrichtung eines Frühwarnsystems, Lösungsorientierung, Schaffung eines humanitären Gesellschaftsklimas, Mobilisierung von Humanität.
Entgegen gehalten wird der Begrifflichkeit, dass „humanitärer Journalismus“ nichts anderes sei als „guter Journalismus“.

Eine weitere Motivation für unser Magazin ist, dass Migration und Flucht in den deutschen (Massen-)Medien immer noch Themen sind, über die sehr einseitig berichtet wird. Typischerweise geht es um Belastungen für den Staat und Gesellschaft. Aber es gibt immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft, die selbst oder in ihren Familien Flucht oder Migration erlebt haben. Diese Themen betreffen immer mehr Menschen, die eine mediale Repräsentation einfordern und verdienen.

„Zusammenhalt“: Umbenennung in kohero

2020 haben wir unseren Namen in kohero geändert, was in der Kunstsprache Esperanto „Zusammenhalt“ bedeutet. Eine Hauptmotivation für diesen Schritt war die Erkenntnis, dass wir auch die Menschen in zweiter oder dritter Generation erreichen möchten und sollten. Und dass viele Menschen, die Flucht erlebt haben, nicht für immer diesen Titel „Flüchtling“ tragen wollen.

Heute berichtet kohero crossmedial und community-orientiert über die Themen Flucht und Migration. Dabei steht die Perspektive von geflüchteten und migrierten Menschen im Fokus. Gemeinsam mit Ehrenamtlichen, Autor:innen, Kooperationspartnern und Spender:innen schaffen wir eine Plattform für interkulturellen Zusammenhalt. Diese Community – oder kommunity, denn bei kohero schreibe ich gerne vieles mit k – sind für uns nicht „nur“ Konsument:innen unserer Inhalte. Sondern jede:r ist eingeladen, mitzumachen und Ideen für neue Inhalte zu geben.

Das Team von kohero vor ihrer Redaktion.
Foto: kohero Magazin

Neben mir arbeiten Natalia Grote und Sarah Zaheer als Redaktionsleiterinnen und unser großes kohero Team besteht aktuell aus circa 70 Ehrenamtliche, sowohl mit Migrationshintergrund und ohne. Ich weiß, dass ehrenamtliche Arbeit ein Luxus ist, den sich nicht viele Menschen leisten können. Deshalb versuchen wir ab diesem Jahr auch mehr mit freien Journalist*innen zusammenzuarbeiten und sie für ihre Arbeit zu bezahlen. kohero finanziert sich zu 70 Prozent durch Spenden. Außerdem suchen wir nach Kooperationen, Fördermitteln und neuen Formaten wie Workshops und Veranstaltungen, um Einnahmen zu generieren.

Schreibtandems

ch bin stolz darauf, wie weit kohero seit 2017 gekommen ist. Als ich angefangen habe, beherrschte ich die deutsche Sprache nicht. Wenn Goethe oder Mann meine Artikel gelesen hätten, wären sie wahrscheinlich aus Trauer über meine Grammatik zweimal gestorben. Deshalb brauchte ich Kolleg:innen, die mein „Hussam-Deutsch“ übersetzen konnten. Weil ich mit dieser Erfahrung nicht alleine war, wurde zeitgleich mit dem Magazin auch das Schreibtandem-Projekt mit meiner Kollegin Anna Heudorfer ins Leben gerufen. Mit diesem Projekt verbinden wir Menschen mit Fluchtgeschichte und deutschsprachige Personen, die zusammen Texte schreiben, aber auch lektorieren und strukturieren. Denn wie wir alle wissen, ist Struktur und Satzbau in der deutschen Sprache extrem wichtig!

In einem Schreibtandem erarbeiten zwei Menschen zusammen einen Text: Eine Person liefert die Geschichte, die andere hilft bei der sprachlichen Umsetzung. kohero hat diese kollaborative Form entwickelt, um Menschen ohne perfekte Deutschkenntnisse zu ermöglichen ihre Geschichten auf Deutsch zu erzählen. Die Schreibtandems ermöglichen hier Teilhabe von Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung am gesellschaftlichen Diskurs. Wie das bei kohero genau funktioniert, beschreiben sie hier.
Eine andere Form eines Schreibtandems ist das Ghostwriting, bei dem ein Text im Namen einer anderen Person verfasst wird, wie das häufig bei Promi-Biografien der Fall ist.

Wir haben dieses Projekt gestartet und führen es bis heute weiter, weil wir überzeugt sind, dass alle Menschen, die ihre Geschichten und Perspektiven teilen möchten, den Platz dafür haben sollten. Und wir sind überzeugt, dass unsere Gesellschaft und die Medienlandschaft von neuen Sichtweisen und Meinungen profitiert. Auch wenn unsere Schreibtandem-Autor:innen nicht alle Journalist:innen sind, ermöglichen ihnen die Schreibtandems die Teilhabe am großen medialen Diskurs. Diese Unterstützung kommt bei kohero von Personen mit Schreiberfahrung, die Deutsch als Muttersprache sprechen. Denn wir wissen, dass es für die meisten Leser:innen nicht nur wichtig ist, was man sagt, sondern auch wie man es sagt.

Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Diskurs ist eine der Voraussetzung für gelungene Integration. Dabei hat Teilhabe zwei Seiten: Das Individuum hat die Möglichkeit gleichwertig teilzunehmen (im Gegensatz zum Ausgeschlossensein) und die Gesellschaft profitiert von allen Erfahrungen und dem vollen Potential ihrer Mitglieder (im Gegensatz zum Beschränktsein auf bereits Bekanntes und Bestehendes). Mehr Teilhabe in der journalistischen Berichterstattung anzustreben ist eine Möglichkeit die Demokratie zu stärken. Wer sich in einem Medium wiederfindet oder aktiv an einem Medium mitarbeitet, hat eine engere Bindung zum Medium.

Schreibtandems und die KI

Die Frage ist, ob wir in der Zeit der Künstlichen Intelligenz immer noch ein Schreibtandem brauchen. Auch ich benutze gerne KI, um meine Grammatik zu checken. Trotzdem ist meine Antwort auf jeden Fall ja! Nicht nur, weil kohero weiterhin neue Perspektiven und interessante Geschichten veröffentlichen möchte. Sondern auch, weil sich das Schreibtandem immer weiter entwickelt und jungen Menschen mit Flucht und Migrationsgeschichte Mut macht, ihren journalistischen Weg einzuschlagen. Für mich persönlich war und ist das Schreibtandem die Chance, die formellen Hürden des deutschen Journalismus zu überwinden und als Journalist zu leben.

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