TikTok Journalismus Pauline Tillmann

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TikTok als Zukunftsinvestition

TikTok ist für Medien keine Spielerei, sondern Überlebensfrage: Hier entscheidet sich, ob junge Zielgruppen eine Marke überhaupt wahrnehmen und Vertrauen aufbauen. Wir zeigen, wie ihr die Plattform strategisch nutzen könnt.


Wer heute zwischen 12 und 24 Jahre alt ist, bezieht Informationen vor allem aus den sozialen Medien und besucht in den seltensten Fällen die Website der Heimatzeitung. Diese Nachrichtenwelt spielt sich in Feeds und in maximal einminütigen Videos ab – vor allem auf TikTok.

Für lokale Publisher und Indie-Medien stellt sich deshalb nicht die Frage, ob sie auf der Plattform aktiv werden sollten, sondern wie schnell sie dies tun. Denn wer TikTok ignoriert, riskiert, eine ganze Generation zu verlieren.

Im Rahmen des „Future of News Fellowships 2025” bin ich ein halbes Jahr der Frage nachgegangen, welche Rolle TikTok für lokale Publisher spielt. Dazu habe ich mit großen und kleinen Medien gesprochen, einen Workshop an einer Gesamtschule gegeben und mich vor allem mit meiner Zielgruppe ausgetauscht: mit 16- bis 22-Jährigen in Konstanz am Bodensee, wo ich lebe.

Eine Sekunde Zeit, um zu überzeugen

Im Folgenden teile ich meine Empfehlungen, damit ihr als Medienprojekt Ableitungen für eure eigene Social-Media-Strategie treffen könnt. Meiner Einschätzung nach ist das Engagement auf TikTok eine Investition in die Zukunft und eine Chance, Reichweite zu generieren, auch wenn man mit null Follower*innen startet.

Der Zauber liegt unter anderem darin, dass es grundsätzlich möglich ist, auf der Plattform mit jedem einzelnen Video viral zu gehen – also in sehr kurzer Zeit sehr viele Menschen zu erreichen – egal wie lange man schon aktiv ist. Allerdings: Um TikTok zu verstehen, müsst ihr euch täglich auf der Plattform bewegen. Und: Die Aufmerksamkeitsspanne ist kurz; die Nutzenden entscheiden innerhalb von einer (!) Sekunde, ob der Inhalt relevant für sie ist. Dabei ist der Inhalt für junge Menschen oft entscheidender als der Absender oder die Marke.

1. Das Mindset: Plattform verstehen und Authentizität leben

  • Täglich konsumieren und analysieren: Nutzt TikTok selbst aktiv, um die Plattformlogiken zu durchdringen und systematisch von erfolgreichen Accounts zu lernen.
  • Der Algorithmus mag das Echte: Akzeptiert, dass der Algorithmus unberechenbar ist und sich Erfolg nicht einfach reproduzieren lässt. Der TikTok-Algorithmus bevorzugt echten Content, auch wenn er nicht hochpoliert ist – im Gegensatz zu den oft geforderten 4K-Videos auf Instagram.
  • Langfristig denken: Betrachtet die Präsenz auf TikTok als Investition in den Markenaufbau und die langfristige Bindung potenzieller Kunden – der Return on Investment stellt sich mit Sicherheit nicht sofort ein.
  • Seid mutig und probiert aus: Habt keine Angst vor der Kamera und fangt einfach an.

2. Content-Strategie: Kurz, relevant und nahbar

  • Der erste Eindruck zählt (Hook): Startet sofort mit einer starken Hook in der ersten Sekunde, die dem Publikum klar macht, worum es geht.
  • Haltet euch kurz: Videos sollten kurz sein, idealerweise 40 bis 60 Sekunden (maximal 90 Sekunden). Längere Videos (z. B. zehn Minuten auf YouTube) werden von der jungen Zielgruppe oft als zu lang empfunden.
  • Alltagsrelevanz und Nutzwert: Eure Inhalte müssen einen klaren Mehrwert bieten. Die Generation Z lehnt „Belehr-Content“ ab und möchte wissen: „Was hat dieses Thema mit mir und meiner Lebensrealität zu tun?“. Themen können von Lifestyle und Comedy bis zu Alltagsproblemen und Service-Inhalten reichen (z. B. Gastro-Tipps oder Expert*innen-Tipps bei Lernstress).
  • Regelmäßigkeit ist entscheidend: Veröffentlicht idealerweise täglich neue Videos, da der Algorithmus unregelmäßige Posts bestraft. Wenn die Ressourcen knapp sind, ist ein gut durchdachtes Video pro Woche besser als gar nichts.
  • Splittet lange Inhalte auf: Teilt ein Ereignis oder ein längeres Interview in mehrere kürzere Videos mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf. Man kann solche Inhalte grundsätzlich als Entwürfe bei TikTok abspeichern – allerdings wird das vom Algorithmus abgestraft. Inhalte sollten demnach möglichst zeitnah auf der Plattform veröffentlicht werden.
  • Visuelle Einfachheit: Wenn kein Budget für aufwändigen Video-Content vorhanden ist, sind gut gestaltete Grafiken ein effektives Mittel, solange sie einen Nutzwert bieten und verständlich sind (z. B. mit Tools wie Datawrapper oder Canva). Nutzt auch einfache Formate wie Bild-Karussells oder 20-sekündige Schwenks.

3. Hosts und Team: Die Menschen im Vordergrund

  • Vertrauen und Nähe: Die junge Zielgruppe wünscht sich, authentisch und auf Augenhöhe angesprochen zu werden.
  • Feste Gesichter: Arbeitet mit festen Hosts statt ständig wechselnden Gesichtern, um Vertrauen aufzubauen.
  • Junge Macher*innen: Setzt möglichst auf junge Macher*innen aus der Zielgruppe selbst, die Authentizität und Nähe vermitteln.
  • Die Marke zurücknehmen: Manche raten explizit, die Marke in den Hintergrund und den Menschen in den Vordergrund zu stellen, da persönlicher Kontakt der wichtigste Erfolgsfaktor ist.
  • Einfache Sprache: Erklärt Fachwörter oder lasst sie bestenfalls weg. Vermeidet es, künstlich Jugendsprache zu imitieren.
  • Dreht vor Ort: Zeigt Inhalte möglichst vor Ort statt in einem Studio. Menschen interessieren sich für Menschen und lokale Geschichten schlummern oft direkt vor der Tür.

4. Produktion und Reichweite

  • Tools: Nutzt InShot als bevorzugte Schnitt-App. Sie hat eine niedrige Einstiegshürde und bietet viele Effekte. Erstellt wiederverwendbare Vorlagen (Templates), um Zeit zu sparen. In meinem Report empfehle ich CapCut, allerdings sehe ich das inzwischen aufgrund geänderter Nutzungsbedingungen sehr kritisch und würde daher zu Alternativen raten.
  • Musik nutzen: Legt Musik unter eure Videos, idealerweise Trend-Sounds (auch leise unter der Tonspur).
  • Schnelle Schnitte: Variiert die Perspektiven und schneidet sie schneller, als es euch intuitiv erscheint.
  • Plattformübergreifende Distribution: Spielt die Inhalte auch auf anderen Plattformen aus (z. B. Instagram, YouTube Shorts).
  • Dialog und Community: Das Community-Management ist wichtig. Antwortet dialogisch in den Kommentaren und zeigt Präsenz.

TikTok ist ein gutes Werkzeug für Reichweite und Markenbildung, die Monetarisierung bleibt jedoch problematisch. Meiner Meinung nach dient die Plattform primär dazu, eine Markenbindung herzustellen und die Bekanntheit bei der jungen Zielgruppe zu steigern.

In meinen Gesprächen haben sich Indie-Publisher wie Leon Fryszer, Chefstratege der „Krautreporter“, deshalb kritisch geäußert, weil TikTok eine sogenannte „gated Plattform“ ist und es nicht zulässt, zu Mitgliedschaften oder Abos zu verlinken. Aktuell werden vor allem werbetreibende Geschäftsmodelle unterstützt.

Gleichzeitig höre ich von Bestrebungen, dass die Plattform selbst mehr News-Content und vertrauenswürdige Plattformen pushen möchte. So hat sie erste Projekte mit Medienhäusern wie der „Rheinischen Post“ gestartet, um doch Links setzen zu können. Manche bezeichnen das sogar als „Gamechanger“.

Ich persönlich glaube jedoch nicht, dass Menschen, wenn sie in Videos Links anklicken könnten, dies auch wirklich tun würden. Die meisten haben, wenn sie TikTok nutzen, kein Interesse, andere Webseiten anzusteuern. Deshalb würde ich die Möglichkeit, Links zu setzen, nicht überbewerten.

Dass TikTok sieben Jahre nach dem Start erkennt, dass es durch vertrauenswürdige Informationen den massenhaften Fake News, Desinformationen und KI-generierten Inhalten entgegenwirken muss, sehe ich jedoch als positive Entwicklung an.

Regelmäßigkeit, Humor, Authentizität

Wichtiger als Links sind also Werbeformen wie Native Advertising, wie sie von Newsfluencern wie Fabian Grischkat und Influencerinnen wie Sophie Passmann eingesetzt werden. Auch wenn traditionelle Medienhäuser diese Werbeform grundsätzlich ablehnen, sehe ich hier durchaus Potenziale für unabhängige Medien-Startups, sofern die Werbung transparent gekennzeichnet wird.

Der Erfolg hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise davon, ob man regelmäßig postet, sich auch mal auf die Schippe nimmt und nahbare, ungeschminkte Inhalte publiziert. Auf der Website https://tiktokjournalism.com/ sind mehr als 1.300 Angebote aus aller Welt zu finden, die journalistische Inhalte publizieren. Auch in Deutschland gibt es mehr als die allseits bekannte Tagesschau mit einer Million Follower:innen, die großes Vertrauen bei der jungen Zielgruppe genießt. Wer das ebenfalls anstrebt, sollte vor allem eins: präsent sein.

INFOKASTEN

Ihr könnt euch den Report jederzeit kostenfrei hier herunterladen (32 Seiten). Dort findet ihr auch ein Kapitel TikTok-Fakten. Unter anderem erwähne ich dort die durchschnittliche Nutzungsdauer. Sie liegt – global gesehen – bei 56 Minuten und ist knapp doppelt so hoch ist wie bei Instagram mit 33 Minuten. Außerdem ist TikTok die am schnellsten wachsende Social-Media-Plattform. Zwar sind 70 Prozent der Nutzenden zwischen 18 und 34 Jahren alt, doch auch die Zahl der Nutzenden ab 35 Jahren nimmt kontinuierlich zu.

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