Crowdfunding im Lokaljournalismus

Zwölf Learnings von karla aus Konstanz

Das karla Magazin hat das in Deutschland bislang erfolgreichste Crowdfunding für ein lokaljournalistisches Projekt hingelegt: Binnen 4 Wochen konnte das Team über 1000 Unterstützter:innen gewinnen, 500 Abonnements generieren und 101.288 Euro einsammeln. Ko-Redaktionsleiter Michael Lünstroth teilt die wichtigsten Learnings.


Als wir die ersten Gespräche über unsere Kampagne für ein neues lokaljournalistisches Projekt führten, begegnete uns viel Sympathie. Wegen unseres Konzeptes. Aber auch einige Skepsis. Wegen unseres Crowdfunding-Ziels. 80.000 Euro hatten wir als Startvolumen ausgegeben. Das schien vielen Menschen sehr ambitioniert. Denn: Eine solche Summe hatte zuvor noch kein Lokaljournalismus-Projekt in Deutschland in einem Crowdfunding erzielt. Und das ausgerechnet in einer knapp 85.000-Einwohner-Stadt in vier Wochen zu schaffen, hielten nur wenige für möglich. 

Wir haben es trotzdem gewagt. Und am Ende gewonnen: 83.788 Euro kamen aus der Crowd, weitere 17.500 Euro erhielten wir als Preisgeld von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, die das Crowdfunding im Rahmen ihres Mitwirken-Förderprogramms ausgerichtet hatte. Insgesamt also 101.288 Euro für neuen, gemeinnützigen Journalismus in Konstanz. Ein Aufbruchsignal für die gesamte Branche. 

Crowdfunding ist eine Methode, bei der Menschen online Geld für Projekte spenden. Es ersetzt traditionelle Finanzierungsmethoden wie Kredite oder Investoren. Jeder kann Geld geben, unabhängig von seinem eigenen Budget. Das Geld wird über spezielle Plattformen gesammelt, die den Projektinitiatoren helfen, ihre Ideen vorzustellen und Unterstützer anzuziehen. Crowdfunding ermöglicht es Menschen, ihre Projekte zu verwirklichen, ohne traditionelle finanzielle Hürden überwinden zu müssen.

Wie das gelungen ist? 12 Dinge, die wir aus dem Crowdfunding gelernt haben und die euch helfen können, ähnliche Projekte auf den Weg zu bringen.

#1 – Seid vielfältig

Für uns die Grundlage unseres Erfolges: Wir hatten Profis auf allen Ebenen mit sehr unterschiedlichen Expertisen in den Feldern Projektmanagement, Journalismus, Kommunikation, Social Media, Kampagnen, Start-up-Business. Erst diese Mischung hat dazu geführt, dass unsere Kampagne einen rundum professionellen Eindruck machte. Die unterschiedlichen Erfahrungen haben auch die teaminternen Diskussionen bereichert und wesentlich vorangebracht. Habt ihr noch nicht die entsprechenden Leute an Bord, versucht sie frühzeitig für das Projekt zu gewinnen.

#2 – Startet früh

Vier Wochen Crowdfunding sind verdammt wenig Zeit. Deshalb hatten wir beschlossen, eine erste Pre-Campaign rund 3 Wochen vor die eigentliche Kampagne zu stellen. Zum einen, um Reichweite für unsere Social-Media-Kanäle aufzubauen. Wir wollten nicht bei 0 Followern zum Start des Crowdfundings beginnen, sondern direkt mehr Menschen erreichen. Fast noch wichtiger war aber, frühzeitig ein enges Netzwerk von Multiplikator:innen zu aktivieren, also quasi karlas beste Freund:innen vorher einzubinden, damit sie Zeit haben, das Projekt in ihren Netzwerken zu streuen. Dass das sinnvoll ist, hat sich in der letzten Woche unseres Crowdfundings gezeigt. Im Endspurt hat die Community eine eigene Kampagne entwickelt, um uns zu helfen. Unter dem Motto „Verdoppeln jetzt!“ haben enge Freund:innen von karla auf ihren eigenen Social-Media-Kanälen eine selbstinitiierte Guerillakampagne gefahren, in der sie dazu aufgerufen haben, die finanzielle Unterstützung für karla zu verdoppeln. Das hat uns sehr geholfen.

#3 – Plant vorausschauend

Während des Crowdfundings müsst ihr die Aufmerksamkeit für euer Anliegen dauerhaft hochhalten. Dafür braucht ihr gute Ideen und gute Inhalte. Für Veranstaltungen, für Social Media, für die Website, für Newsletter. Idealerweise bereitet ihr einen Großteil davon vor dem Crowdfunding vor. Ihr müsst nicht jedes Format und jeden Text fixfertig haben, aber ihr solltet wissen, was ihr in den vier Wochen alles veranstalten und publizieren wollt. Uns hat die vorausschauende Planung unserer Kampagne in der heißen Phase des Crowdfundings jedenfalls sehr geholfen.

Zum Start des Crowdfundings haben wir alle Interessierten eingeladen, um ihnen karla persönlich vorzustellen.
Foto: Sophie Tichonenko

#4 – Seid nahbar

Je besser und verständlicher ihr euer Projekt und eure Motivation erklärt, umso eher werden euch Menschen unterstützen. Kommuniziert offen und erklärt viel. Das zeigt Transparenz, bringt Glaubwürdigkeit und Sympathie. Wenn man gut argumentiert, muss man auch keine Angst vor großen Summen haben. Wir haben zum Beispiel immer offensiv erklärt, warum wir 80.000 Euro für qualitätsvollen Journalismus brauchen: Weil gute Recherchen Zeit brauchen und weil wir unsere Mitarbeiter:innen fair bezahlen wollen.

#5 – Schafft einen Begegnungsort

Zwei Wochen lang haben wir während des Crowdfundings eine temporäre Pop-up-Redaktion mitten in der Stadt betrieben. Zu festen Zeiten waren jeweils zwei Leute aus unserem Team vor Ort, um Gespräche mit Besucher:innen zu führen oder an der Kampagne weiterzuarbeiten. Das war für uns extrem wertvoll, weil wir viele gute Gespräche geführt haben, wir unsere Idee konkret vermitteln konnten und zudem eine Präsenz in der Stadt gezeigt haben mit der Botschaft: karla kommt nicht erst, karla ist längst da! Für uns als digitales Medium war es besonders wichtig, auch einen analogen Begegnungsort zu schaffen, weil genau das Teil unseres Konzeptes ist – Journalismus vom Trägermedium zu lösen und in den öffentlichen Raum zu stellen.

#6 – Geht zu den Menschen

Einen Begegnungsort wie unter #5 zu schaffen ist gut, das allein reicht aber nicht. Denn: Nicht jede:r kommt von sich aus auf die Idee, die Pop-up-Redaktion eines lokaljournalistischen Start-ups zu besuchen. Man darf also nicht nur an einem Ort verharren, sondern muss auch direkt zu den Menschen gehen. Wir haben mehrere Veranstaltungen gemacht, waren in der Stadt unterwegs (Tipp: Besonders Märkte eignen sich für Erstgespräche) und haben Einzelhändler:innen dafür gewonnen, unsere Plakate und Flyer in ihren Geschäften aufzuhängen bzw. auszulegen. Das hat unserem Projekt Sichtbarkeit verliehen, die Konstanzer:innen sind in ihrem Alltag immer wieder auf unsere Marke gestoßen. Unsere Erfahrung war: Direktkontakte waren am wertvollsten. Gar nicht gut funktioniert hat bei uns hingegen beispielsweise Kaltakquise per E-Mail.

Gemeinsam mit den Konstanzer:innen haben wir Themen gefunden, die wirklich interessieren.
Foto: Sophie Tichonenko

#7 – Nutzt Social Media

Wir haben vor allem Instagram, Twitter und Facebook bespielt. Der Community-Aufbau hat am besten über Instagram funktioniert, Twitter war hervorragend für die Vernetzung innerhalb der Medienbranche und über Facebook-Ads konnten wir sehr gezielt potenzielle Interessent:innen erreichen. Wichtig hierbei: Wenn Social Media, dann richtig machen und für jeden Kanal angepasst. Kein klassisches Social Network, aber doch ein extrem wichtiges Aktivierungs-Tool in der Kampagne war unser Newsletter. Regelmäßig (steigende Frequenz zum Ende des Crowdfundings hin, die letzten drei Tage kam er täglich) haben wir dort Hintergründe erklärt und Neuigkeiten aufbereitet. Nach jedem Versand ist die Zahl der Unterstützer:innen merklich gestiegen. Wichtig dabei: Vorher gut überlegen, wie ihr eure Leser:innen ansprechen wollt – und dann diese Tonlage konsequent durchhalten.

#8 – Vernetzt euch!

Jede:r unserer acht Gründungsgesellschafter:innen hat das eigene lokale Netzwerk ins Projekt gebracht. Da wir unterschiedliche berufliche Hintergründe haben, war das Gesamt-Netzwerk am Ende sehr vielfältig. Neben den persönlichen Netzwerken haben uns aber auch vorhandene professionelle Netzwerke sehr geholfen. In der Vorbereitungsphase (Monate vor dem Crowdfunding) haben wir Kontakt zu ähnlichen Projekten wie RUMS (Münster), VierNull (Düsseldorf), CORRECTIV (Essen) oder Relevanzreporter (Nürnberg) gesucht. Von deren Erfahrungen konnten wir profitieren. Größte Stütze in der Projektwerdungsphase war das Netzwerk Recherche, das uns bei vielen konkreten Fragen besonders im Hinblick auf die Gemeinnützigkeit geholfen hat.

#9 – Stellt euch der Kritik

Wer was Neues wagt, erntet nicht immer nur Sympathie, sondern manchmal auch Kritik. Mal konstruktiv, mal eher destruktiv. Egal wie: Wichtig ist es, sich dieser Kritik sachlich zu stellen: auf Social Media und auch im direkten Gespräch. Wir haben Kritik an uns oft umgemünzt in ein Gesprächsangebot an die Kritiker:innen und sie beispielsweise zu uns in die Pop-up-Redaktion eingeladen, damit sie uns kennenlernen können. Im direkten Austausch konnten wir so aus einigen Kritiker:innen Unterstützer:innen machen. Was uns auch geholfen hat: Dass wir vorher analysiert hatten, welche Kritikpunkte kommen könnten. Und uns Gegenargumente dafür überlegt hatten. Mögliche Angriffspunkte haben wir so antizipiert und waren gut vorbereitet auf Kritik.

Bereits während des Crowdfundings haben wir gezeigt, mit welchen Formaten wir arbeiten wollen.
Foto: karla Magazin

#10 – Seid greifbar

Für Projekte, die noch kein fertiges Produkt vorzeigen können, empfehlenswert: Erste Inhalte produzieren, die zeigen, wie das Produkt aussehen könnte. In unserem Fall bedeutete das, ein selbst gewähltes Thema („Klimagerechte Stadtentwicklung“) in verschiedenen Formaten zu erzählen. Als Text, Podcast und Podiumsdiskussion. So wurde unsere Idee des erlebbaren Journalismus für viele erst greifbar und verständlich.

#11 – Bleibt flexibel und manchmal auch gelassen

In einem Crowdfunding läuft nicht immer alles so, wie man es geplant hat. Auf unerwartete Situationen muss man reagieren und gegebenenfalls die Strategie anpassen. Ein Beispiel: Wir haben im Crowdfunding gemerkt, dass es Menschen gibt, die karla zwar gut finden, aber nicht gleich ein Jahresabo abschließen wollen. Darauf haben wir reagiert und in der Mitte des Crowdfundings neue Unterstützungsmöglichkeiten ohne Abo eingeführt. Von den insgesamt 1070 Unterstützer:innen haben am Ende mehr als 500 ein Abonnement abgeschlossen. Bei aller Alarmbereitschaft und Aufregung des Crowdfundings gilt aber auch: Manchmal ist Gelassenheit der bessere Ratschlag. Eine Kampagne braucht Zeit, um zu zünden. Bei guter Planung (und ein bisschen Zufallsglück) greifen die Maßnahmen irgendwann ineinander und potenzieren die Wirkung der Kampagne.

#12 – Lasst andere für euch sprechen

Wenn es euch gelingt, Medien von eurem Projekt zu überzeugen, und sie berichten über euch, dann ist das Gold wert. Jede Berichterstattung über karla hat uns jedes Mal neue Unterstützer:innen gebracht. Und auch Litfaßsäulen sind gute Botschafter! Plakatwerbung sollte man in ihrer Wirkung nicht unterschätzen, weil sie große Sichtbarkeit verleiht. Für uns hat die Kampagne gefühlt ab dem Moment richtig gezündet, an dem unsere Plakate an 100 Litfaßsäulen im Stadtgebiet hingen.

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