Genossenschaften im Journalismus

Mehr Unabhängigkeit und Mitsprache

Immer mehr journalistische Projekte entscheiden sich für die Genossenschaft als Organisationsform. Sie bietet nicht nur redaktionelle Unabhängigkeit, sondern auch eine demokratische und kooperative Struktur, die die Medienvielfalt stärkt. Wir haben mit Vertreter:innen von zwei Genossenschaften gesprochen.


In den letzten Jahren ist die Genossenschaft als Rechtsform im Journalismus zunehmend in den Fokus gerückt und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Wo früher die Berliner Tageszeitung „taz“ fast allein auf weiter Flur war, haben mittlerweile zahlreiche journalistische Initiativen dieses Modell für sich entdeckt. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass die Genossenschaft als Organisationsform besonders gut den Bedürfnissen und Werten moderner journalistischer Projekte entspricht.

Das Besondere an der Genossenschaft ist ihre kooperative und demokratische Struktur, die allen Mitgliedern aktive Mitbestimmung ermöglicht. Ein Beispiel hierfür sind die RiffReporter, ein Netzwerk freiberuflicher Journalist:innen, die sich bewusst für diese Organisationsform entschieden haben. Auf ihrer Website betonen sie: „Genossenschaften sind kooperativ und demokratisch organisiert und dem Ziel verpflichtet, ihren Mitgliedern und der Gesellschaft Gutes zu tun. Für uns als Zusammenschluss freier Journalist:innen ist das die ideale Organisationsform, um gemeinsam innovative Wege für hochwertigen Journalismus zu finden.“

Diese Aussage zeigt, dass die Genossenschaft mehr als nur eine rechtliche Struktur bietet – sie stellt ein ethisches Fundament dar. Sie fördert Unabhängigkeit und ermöglicht es, durch kollektive Zusammenarbeit kreativen und qualitativ anspruchsvollen Journalismus zu realisieren. Gegründet wurde RiffReporter 2017. Vor zwei Jahren wurde Stefan Johannesberg Vorstandsmitglied der Genossenschaft. Er bringt mehr als 20 Jahre Erfahrung im digitalen Medienbereich mit, unter anderem aus seiner Tätigkeit beim Verlag Gruner + Jahr. 

Die RiffReporter-Genossenschaft ist ein innovatives journalistisches Kollektiv, das sich auf hochwertigen, unabhängigen und vielfältigen Journalismus spezialisiert hat. Gegründet von freien Journalist:innen, zielt die Genossenschaft darauf ab, ihre Mitglieder bei der Erstellung und Verbreitung von tiefgründigen und spezialisierten Reportagen zu unterstützen. Dabei fördert die eigene Genossenschaft kooperatives Arbeiten und demokratische Entscheidungsprozesse, um sowohl den individuellen als auch den kollektiven Erfolg ihrer Mitglieder zu sichern. Die Genossenschaft bietet ein Autor:innen-Magazin mit Abo-Modell und Artikelkauf, auf der Journalist:innen unabhängig von großen Verlagen agieren und direkt mit ihrem Publikum in Kontakt treten können, was ihnen ermöglicht, innovative und investigative Inhalte zu produzieren und zu verbreiten.

Warum Genossenschaft als Rechtsform?

Johannesberg sagt: „Die Genossenschaft bietet ihren Mitgliedern nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch soziale und berufliche Weiterbildungen, die in Verlagen oft fehlen. So werden die Journalist:innen nicht nur in ihrer journalistischen Arbeit gestärkt, sondern erhalten auch Einblicke in die wirtschaftlichen und organisatorischen Abläufe, was ihre berufliche Weiterentwicklung fördert.“

Zwar war er bei der Gründung nicht dabei, aber er kennt die Beweggründe von Gründer:innen wie Tanja Krämer: Es geht um Mitspracherechte und partizipative Möglichkeiten. Das heißt, die Autor:innen gestalten nicht nur die Inhalte mit, sondern entscheiden auch über finanzielle Verteilungen und strukturelle Entscheidungen der Organisation mit. Eine der größten Herausforderungen in der Arbeit als Vorstand sieht Johannesberg darin, RiffReporter wirtschaftlich erfolgreich zu machen.

Er beschreibt die Genossenschaft als ein Start-up, das wie jedes andere Unternehmen den finanziellen Druck des Marktes spürt. Dies sei besonders schwierig, da RiffReporter, im Gegensatz zu Vereinen, keine Spenden annehmen könne und somit auf Einnahmen aus dem Verkauf journalistischer Produkte angewiesen sei. Der RiffReporter-Vorstand erläutert: „Der Medienmarkt ist stark umkämpft und besonders für freie Journalist:innen lässt er wenig Raum. Viele große Verlage haben mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, was die Lage für kleinere Genossenschaften erschwert.“

Diese Herausforderung werde durch die demokratische Struktur der Genossenschaft verstärkt, da alle Mitglieder gleichermaßen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden müssten. Er sieht diese Komplexität gleichermaßen als Chance, da die große Beteiligung der Mitglieder zu einer stärkeren kollektiven Identifikation mit der Organisation führt. Auch wenn die Umsätze sich in den letzten Jahren verdreifacht haben, ist der Break-even noch nicht geschafft. Der Dreijahresplan sieht dies bis Ende 2026 vor.

Notwendig für das Erreichen dieses Zieles sind – neben dem Abo-Modell des eigenen Autor:innen-Magazins, den Lizenzgebühren für Forschungseinrichtungen / Stiftungen und dem Verkauf von Artikeln an Verlage – eine weitere Kapitalaufnahme via Anteilskauf oder Nachrangdarlehen zum Beispiel von Social Impact Investor:innen. Ein Genossenschaftsanteil bei RiffReporter kostet derzeit 50 Euro. Johannesberg spricht von 400.000 Euro Kapitalbedarf für die nächsten beiden Jahre.

Aktive Mitarbeit ausdrücklich erwünscht

Ein zentrales Element der Genossenschaftsarbeit ist die aktive Mitwirkung der Journalist:innen. Bei RiffReporter gibt es eine freiwillige Selbstverpflichtung, in der sich die Mitglieder dazu verpflichten, in irgendeiner Form aktiv an der Genossenschaft teilzunehmen – sei es durch das Schreiben von Artikeln oder das Übernehmen organisatorischer Aufgaben. Dies sei nicht nur notwendig, um die Genossenschaft am Laufen zu halten, sondern werde auch finanziell honoriert. Manche arbeiten darüber hinaus inhaltlich in Recherche-Kollektiven zusammen und ersetzen so die hierarchischen Strukturen einer Redaktion.

In Genossenschaften haben alle Mitglieder gleiches Mitspracherecht bei der Ausrichtung und den Zielen der journalistischen Arbeit. Das stärkt nicht nur die redaktionelle Unabhängigkeit, sondern fördert auch die Vielfalt der Perspektiven in der Berichterstattung. Die „taz“ in Berlin ist ein bekanntes Beispiel für eine langjährig erfolgreiche genossenschaftliche Struktur, die ihre Unabhängigkeit bewahrt hat. Auch Initiativen wie die RiffReporter setzen auf dieses Modell, um freien und qualitativ hochwertigen Journalismus zu ermöglichen.

Die meisten sehen die Einnahmen von RiffReporter als „nettes Zubrot“, das etwa ein Drittel ihrer Gesamteinnahmen ausmache. Der Vorteil: Oft verdienen die Autor:innen durch Mehrfachverwertung ihrer Texte. Das heißt, sie können einen Text, den sie bereits geschrieben haben, noch einmal anbieten und verdienen daran ein weiteres Mal. Vor allem die Gründung einer Genossenschaft sei extrem bürokratisch und aufwändig. Deshalb rät Johannesberg sich ausgiebig mit Expert:innen auszutauschen, um Fehler zu vermeiden.

Insgesamt sieht er in der Genossenschaftsform ein zukunftsträchtiges Modell für den Journalismus. Sie bietet nicht nur wirtschaftliche und soziale Sicherheit für freie Journalist:innen, sondern fördert auch Innovationen und demokratische Teilhabe in einer Branche, die zunehmend unter wirtschaftlichem Druck steht. Dass Genossenschaften besonders robust sind, sieht man nicht nur an der „taz“ oder „Krautreporter“, sondern auch an der Wochenzeitung, kurz WOZ, aus der Schweiz.

Blick nach Zürich

Diese wurde 1981 als linke, unabhängige Zeitung gegründet, weil eine alternative Stimme in der konservativen Medienlandschaft der deutschsprachigen Schweiz fehlte. Die Genossenschaft war damals die perfekte Rechtsform, weil die Gründer:innen die redaktionelle und betriebliche Autonomie und Selbstverwaltung sicherstellen wollten. Camille Roseau arbeitet in der Werbeabteilung der WOZ in Zürich. In ihrer Rolle sorgt sie mit ihrem Team dafür, dass die Zeitung Leser:innen, Abonnent:innen und Mitglieder für den Förderverein gewinnt, um den ökonomischen Betrieb der WOZ zu sichern.

Der größte Teil der Einnahmen kommt von Abonnements – etwa 80 Prozent – sowie Spenden und Anzeigen. Insgesamt unterstützen etwa 18.800 Abonnent:innen die Zeitung, davon sind rund 900 Mitglieder des Fördervereins. Die WOZ blickt kritisch auf all jene, die Macht ausüben – in Wirtschaft, Politik und anderen gesellschaftlichen Sphären. Ein zentrales Anliegen der wöchentlich erscheinenden Zeitung ist es, soziale Gerechtigkeit zu fordern und alternative Wirtschaftsmodelle aufzuzeigen. Auch Gleichstellungthemen spielen immer wieder eine Rolle. „Uns ist es wichtig, Themen aufzugreifen, die bei anderen Medien oft untergehen“, so Roseau.

Die WOZ agiere basisdemokratisch, was bedeutet, dass Entscheidungen kollektiv getroffen werden und die Macht nicht in den Händen weniger Personen liegt. Diese Hierarchiefreiheit ziehe sich laut Roseau durch alle Bereiche der Zeitung, einschließlich der internen Organisation. Das sei für sie und andere Mitarbeiter:innen entscheidend ist, weil die WOZ somit ein Arbeitsumfeld biete, in dem Selbstbestimmung und Mitbestimmung gelebte Werte seien.

Bei der WOZ in Zürich wird viel Wert auf Qualität und Gründlichkeit gelegt.

Die WOZ legt viel Wert auf Qualität und Gründlichkeit. So werden journalistische Beiträge mehrfach lektoriert und in der Redaktion kollegial besprochen. Dieser Qualitätsanspruch spiegelt sich auch in der bewussten Entscheidung wider, ein eigenes Korrektorat zu unterhalten. Roseau hebt hervor, dass jede Ausgabe von mindestens vier Personen vor der Veröffentlichung gelesen werde, was zu einer hohen journalistischen und orthografischen Qualität beiträgt.

Nur noch digital erscheinen?

Trotz steigender Papierpreise erwägt die Wochenzeitung aktuell nicht, ihre Printausgabe einzustellen. Im Gegensatz dazu hat die „taz“ aus Berlin Mitte September öffentlich verkündet, dass die letzte Printausgabe am 17. Oktober 2025 erscheinen soll. Danach gebe es nur noch die Online-Version der Zeitung sowie die gedruckte Wochenend-Ausgabe. Die Zeitung bezeichnet die Zäsur als „Seitenwende“ und wolle „Bloß nicht in Schönheit sterben“.

Roseau erklärt: „Die Entscheidung, sowohl digital als auch gedruckt zu erscheinen, beruht auf der Überzeugung, dass beide Kanäle ihre Vorteile haben und es den Leser:innen überlassen bleiben sollte, wie sie die Inhalte konsumieren möchten.“ Das zeigt sich übrigens auch im Preis, denn es gibt keinen Unterschied zwischen den Kosten für das digitale und das Print-Abo, da beide Formate als gleichwertig betrachtet werden. Menschen mit wenig Geld räumt die Zeitung einen Rabatt von 40 Prozent ein.

Die Gründungswelle in der Schweiz seit einigen Jahren erklärt sie damit, dass viele Journalist:innen in großen Verlagen unzufrieden seien. Das hänge auch mit der Krise der großen Schweizer Medien zusammen. „Viele Medienschaffende möchten in der Branche bleiben, können sich aber nicht mehr vorstellen, unter den Bedingungen der großen Verlagshäuser zu arbeiten oder werden schlicht entlassen, weshalb sie sich entscheiden, selbstständig zu gründen“, so Roseau.

Erreicht man eine gewisse kritische Masse an Mitstreiter:innen und ist bereit, sich auf einen bürokratischen Marathon einzulassen, könnte die Genossenschaft für neue Projekte im Journalismus durchaus eine passende Rechtsform sein.

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